Grafik mit einem stilisierten Chatverlauf, über den ein Auge gelegt ist, an den Seiten sind zwei Überwachungskameras
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Chatkontrolle. Oder: Autor:in sein in einem repressiven Regime

Die Idee klingt ja erstmal nett: Behörden gucken in die Kommunikation von bösen Menschen rein und überführen sie dann irgendwelcher Straftaten. Allerdings klingt das harmloser als das, was eine #Chatkontrolle tatsächlich bedeutet. Denn es geht nicht um Postkarten, sondern um die Chatverläufe von Menschen. Und Chats sind heutzutage häufig Ende-zu-Ende verschlüsselt. Das gilt für Direktnachrichten auf Instagram, den FB- oder Messenger und WhatsApp genauso wie für Signal oder Threema.

Worum geht’s eigentlich?

Ende-zu-Ende (E2E) Verschlüsselung bedeutet, dass die Nachricht auf dem Gerät der einen Chatteilnehmerin „abgeschlossen“ wird, als verschlossenes Päckchen durch das Netz geht und erst auf dem Gerät des anderen Gesprächsteilnehmers wieder „aufgeschlossen“ wird. Dazwischen sieht man, dass zwischen den beiden Gesprächspartnern Inhalte ausgetauscht werden, aber die sind „von außen“ nur Zeichensalat, also nicht lesbar.

Was die EU jetzt gerne hätte, ist ein Nachschlüssel. Dass auch überall im Netz, quasi zwischen den tatsächlichen Teilnehmenden einer Kommunikation, die Nachrichten aufgeschlossen und die Inhalte gelesen werden können.

Was heißt das?

Ein „Nachschlüssel“ ist eine ganz schlechte Idee. Denn Verschlüsselung lässt sich nicht gezielt nur für eine Kommunikation oder einen bestimmten Teilnehmer mit einem Nachschlüssel umgehen, sondern nur im Ganzen. Für alle. Sprich: Wovon eigentlich geredet wird, ist das Ende der vertraulichen Kommunikation. Für alle. Das betrifft irgendwelche Kleinkriminelle, klar. Aber auch jeden und jede andere. Denn die Verschlüsselung müsste grundsätzlich gebrochen werden, um die Möglichkeit einer Hintertür zu schaffen; egal, ob sie dies nun Hintertür, Nachschlüssel, Chat-Einsicht, Uploadfilter, Content-Moderation oder wie auch immer nennen. Fakt ist: Verschlüsselung ist entweder für alle sicher, inklusive für Behörden, Kriegsberichterstatterinnen, Journalisten und Menschen, die in repressiven Staaten einen Aufstand planen, oder eben für niemanden.

Deswegen haben sowohl Signal als auch Threema angekündigt, den Dienst für Menschen in der EU einzustellen, falls die Chatkontrolle beschlossen werden sollte.

Aber ich hab doch nichts zu verbergen!

Achtung! Hier lauert ein Missverständnis. „Etwas zu verbergen haben“ ist nicht gleich „etwas verbrochen haben“! Wir machen die Tür zu, wenn wir auf dem Klo sind, wir tragen Kleidung, wir binden nicht allen unsere sexuellen Vorlieben auf die Nase und geben nicht jedem:r unsere Kreditkartendaten und vielen nichtmal unsere Telefonnummer. Aus Gründen. Und wir müssen nichts verbrochen haben, um einfach unsere Ruhe haben zu wollen.

Die Geschichte zeigt …

… dass es in autokratischen Staaten üblicherweise zuerst die Journalist:innen erwischt, denen der Mund verboten wird. Direkt gefolgt von Autor:innen. Sie werden zum Schweigen gebracht, mit Repressionen sanktioniert, wenn sie nicht regimekonform handeln und schreiben.

Dass die EU nun zum wiederholten Mal Werkzeuge haben möchte, um Inhalte im Internet und in Kommunikationen zwischen Menschen zu überwachen und zu kontrollieren, ist einer Demokratie wirklich unwürdig. Immerhin ist freie Kommunikation die Wurzel der Demokratie. Dass Menschen frei von der Angst vor Sanktionen miteinander reden können, Gedanken austauschen können, zu umfassenderen Informationen und informierten Meinungen kommen können, ist die Basis unserer Gesellschaft. Dieses Informationsprinzip ist dank der Algorithmen im Netz und der daraus resultierenden Filterblasen u.a. in algorithmisch gesteuerten sozialen Netzwerken ohnehin schon hart angeschlagen. Es jetzt auch noch mit EU-Gesetzen zu unterwandern, würde unsere geschwächten Demokratien voraussichtlich nur noch mehr schwächen und den Rechtsruck beschleunigen.

Was anderen Schreibenden zB während der Nazizeit passiert ist, von Berufsverboten über Bücherverbrennungen bis hin zu kaltblütigem Mord (aka: Beseitigen der Regimegegner:innen), die Geschichten kennen wir alle. Und da waren diejenigen, die in andere Länder, häufig in die USA, flüchteten, noch glücklich dran.

Auch heute gibt es Schreibende, die aus zB Russland fliehen mussten. Menschen, die untertauchen mussten, weil sie es wagten, etwas gegen Putin zu schreiben. Überall auf der Welt gibt es tapfere Kolleg:innen, die sich für Demokratie und gegen autokratische Herrscher aussprechen. Oft genug leben und schreiben sie außerhalb ihres Heimatlandes. Aus Gründen.

Und auch Edward Snowden hätte ohne Signal und Tor nicht die Geheimnisse der NSA an Laura Poitras verraten können. Natürlich ist es das, was Regierungen jetzt – wieder einmal – fordern: Das Ende von Signal. Und Threema. Und Tor. Das Ende der vertraulichen Kommunikation überhaupt.

EU-Gesetzgebung beeinflussen

Zum Glück ist „die EU“ ja auch kein abstraktes Gebilde, sondern eine Ansammlung von Menschen, die gemeinsam beraten und entscheiden. Abgesandte aller Mitgliedsstaaten kommen dort zusammen. Und wo Menschen sind, gibt es Ansprechpartner. Und die kann man kontaktieren und ihnen sagen, was man von bestimmten Plänen hält. Das Renaturierungsgesetz beispielsweise ist eine großartige Sache und wir sollten die Menschen, die das gerade beschlossen habe, alle mal sehr loben. Die Chatkontrolle hingegen sollten wir ihnen noch ausreden. Dringend.

Meine E-Mail an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in der EU

Ich weiß, andere waren viel schneller als ich. Ich bin spät dran, aber ich konnte einfach zu lange nicht glauben, dass gebildete Menschen, die EU-Gesetze machen, der Sache – wieder mal! – auf den Leim gehen. Also habe ich mich daran gemacht, und dank der Infos, die Patrick Breyer auf seiner Seite zur Verfügung stellt (DANKESCHÖN!), bei der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der EU angerufen. Da hatte ich dann einen sehr netten Mitarbeiter am Telefon. Er wurde allerdings deutlich knapper in der Ausdrucksweise, als ich sagte, dass ich wegen der Abstimmung zur Chatkontrolle anrief. Da verwies er mich auf das Kontaktformular auf der Webseite der Ständigen Vertretung. Zwischenzeitlich war das dann wohl zu stark ausgelastet und es stand stattdessen eine Mailadresse dort: info at bruessel-eu.diplo punkt de

Sehr geehrte Frau Dr. Erdmenger,

bezüglich der Abstimmung zur Chatkontrolle möchte ich darum bitten, gegen diese Maßnahme zu stimmen. Zum Einen, weil sie einen tiefgreifenden Eingriff in unser Recht auf Privatsphäre darstellt, der nicht im Verhältnis steht zu den erwartbaren Funden bei Kleinkriminellen.

Zum Anderen trägt die immer stärker werdende Vorab-Kriminalisierung aller Bürger:innen zum demokratiefeindlichen Klima in der EU und den Mitgliedsstaaten bei. Bei dem Gedanken daran, nicht mehr unbeobachtet kommunizieren zu können, wird mir als Autorin und Datenschutzexpertin schlecht. Und dabei lasse ich den Datenschutz noch außen vor. Ich verweise lieber auf die Geschichte, die uns zeigt aufstrebende autokratische Regierungen zuerst Journalist:innen und dann Autor:innen mit Repressionen sanktionieren. Ich möchte keiner Regierung der Welt ein Mittel zur Vollüberwachung an die Hand geben. Die Chatkontrolle – oder nennen Sie es Uploadfilter / Contentfilter … – ermöglicht genau diese. Und trägt im gleichen Zug dazu bei, dass Menschen der Regierung noch weniger vertrauen, was in Zeiten des allgemeinen Rechtsrucks und Misstrauens in den europäischen Gesellschaften ein fataler Akt ist.

Stattdessen brauchen wir mehr Vertrauen – zu unseren Regierungen, aber auch zueinander. Wir müssen wieder mehr Gesellschaft wagen, mehr gegenseitige Hilfe, Zivilcourage und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Alles bricht, wenn wir einander nicht als Menschen respektieren.

Ich wünsche mir ein starkes, ein gemeinschaftliches Europa. Ich wünsche mir Vertrauen in der Gesellschaft. Ich wünsche mir, dass wir einander als Menschen respektieren, nicht nur für die Leistungen, die wir bringen. Ich wünsche mir, dass vertrauliche Konversationen als Basis unserer Demokratie bleiben. Bitte – im Angesicht geschwächter Demokratien und der aufstrebenden antidemokratischer Parteien – bitte, setzen Sie sich gegen die Chatkontrolle ein.

Mit freundlichen Grüßen,
Klaudia Zotzmann-Koch

Schreibt doch auch eine Mail. Angeblich wird am 19. Juni 2024 über den Vorschlag zur Chatkontrolle abgestimmt. Aber vielleicht wird die Abstimmung auch nochmal verschoben, man weiß es nicht. Aber schnell schreiben ist sicher gut. Ihr müsst auch nicht alles wie ein Datenschutzjurist argumentieren können, um den MEPs, den Members of the European Parliament, zu sagen, dass Ihr nicht überwacht werden wollt. Schreibt ihnen doch, was es für Euch bedeutet, in der Lage zu sein, hier in Europa frei und ohne Repressionen kommunizieren zu können. Nicht befürchten zu müssen eingesperrt zu werden, weil ihr euch über zB eine mögliche Abtreibung informiert oder austauscht. Und Privatsphäre ist unser aller gutes Recht: „Der Schutz der Privatsphäre ist im Artikel 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950 sowie in Artikel 7 der Grundrechtecharta der EU festgelegt.[2]“ (Quelle)

Tipp: Seid nett in der Mail. Den wütenden Mob mit Fackeln und Heugabeln können wir immernoch auspacken, sollte die Abstimmung schlecht ausgehen und die Chatkontrolle beschlossen werden.

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Ein Kommentar

  1. This is not China. This isn’t the USSR.
    This is Europe! Hands off our privacy!
    Stop Chatcontrol!

    Ich möchte in Europa ohne Repressionen kommunizieren zu können.
    Ich möchte, dass meine Privatsphäre geschützt ist wie im Artikel 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950 sowie in Artikel 7 der Grundrechtecharta der EU festgelegt.[2].

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