| |

Bezahlung nur bei mindestens 1.000 verkauften Büchern im Quartal?

Warnlampe am Horizont! Die Zahl ist fiktiv, das oder ein ähnliches Szenario aber nicht unwahrscheinlich.

Spotify hat’s vorgemacht: Im November hat der Streaming-Konzern angekündigt, Künstler:innen erst dann für einen Song zu bezahlen, wenn dieser mindestens 1.000 Mal gestreamt wurde. Alles, was darunter liegt, wird nicht ausbezahlt, sondern wandert in einen großen Topf, der dann an die viel gestreamten Titel ausgeschüttet wird – nicht an die Kreativen, wohlgemerkt, sondern an die Rechteinhaber, also deren Labels. Wieviel davon tatsächlich bei den Urhebern, also den Kunstschaffenden ankommt, ist unklar, aber sicher auch bei den Stars nur ein Bruchteil, je nach Beteiligung der jeweiligen Künstler:innen.

UPDATE: Die Änderung wurde zum 1.4.2024 umgesetzt. Alles, was unter 1.000 Streams in den letzten 12 Monaten hat, wird nicht mehr gezahlt.

Alles was über den 1.000 Streams liegt, bringt allerdings auch nur lächerliche Centbeträge. Bei einer Beteiligung der Künstlerin von 30 % und 15.000 Streams im Quartal kommen gerade mal rund € 3,- bei der Künstlerin an. Ja genau: 3. In Worten: Drei Euro. Das rechnet die Künstlerin Jasmo in der aktuellen Matrix-Folge des öffentlich-rechtlichen Senders ORF vor. Das ist nichtmal mehr eine Frechheit, sondern einfach völlig indiskutabel.

Eine ziemlich bekannte Band, OK KID, kommt im Jahr auf ca. 15 bis 20 Millionen Streams. Ihr größter Hit hat in 7 Jahren € 40.000,- eingespielt. Für deren Label, nicht für die Künstler. (Quelle: ARD/BR-Doku, Teil 1 ab ca. Min 5:45) Und was die kriegen müssen sie sich noch teilen und das ist jeweils noch vor Steuern, versteht sich.

Was ist eigentlich mit der Vergütung von Hörbüchern auf Spotify?

Ich hatte übrigens vor über acht Jahren mal ein Probe-Abo und hab es danach gleich wieder gekündigt und auch meine Podcasts sind dort nicht gelistet – zumindest habe ich ihnen geschrieben, dass ich das nicht will. Und ja, es macht mir Sorgen, dass Spotify für Hörbücher so wild angepriesen wird als die beste Möglichkeit, dort gefunden zu werden. Aber wieviel kriegen wir denn für Hörbücher, die via Spotify gestreamt werden?

Liberaudio hat einen Artikel zu Audible vs Spotify, aus dem ich jetzt zitiere:

Der Streaminganbieter teilt alle Audiodateien in kurze ca. 3-minütige Abschnitte. Besteht Dein Hörbuch zum Beispiel aus 25 Audiodateien à 20 Minuten, werden daraus bei Spotify etwa 175 einzelne Tracks.

Immer wenn ein Hörer einen Track mindestens 10 Sekunden lang anhört, wirst Du mit 0,003 Euro vergütet.

Es ist wenig, aber immerhin. Bei 100.000 Downloads (angehörten Tracks) entstehen so 300 € Nettoerlös.

Liberaudio

Wer weiß, ob seine:ihre Hörbücher auf Spotify sind? Wer kommt auf über 1.000 Streams pro Quartal? Oder auf die 100.000? Das sind übrigens 5,7 (bei 1.000) bzw 571 (bei 100.000 Streams) „verkaufte Hörbücher“, wenn wir jetzt bei den 175 Einzeltracks bleiben. Und falls nein, geht das Honorar an große Plattenlabels.

Die dreiteilige Doku von ARD und BR namens „Dirty Little Secrets“ zu den Geldflüssen im Musikbusiness kann ich Euch auch wärmestens ans Herz legen. Die ersten zwei Folgen geht um’s Streaming, die könnt Ihr auch gerne anschauen. Schreibt mir gerne in die Kommentare, wer danach seinen Spotify-Account gekündigt hat.

Wie sieht’s bei Videos aus?

So weit. so schlecht. Denn angesehen davon, dass die Musik mal wieder Vorreiter ist, macht dieses Vergütungsmodell bereits Schule. Amazon (!) hat im Januar die Änderung ihres Auszahlungsmodells auf Twitch angekündigt. Ja, Twitch gehört Amazon. Beim 70/30-Beteiligungsmodell (70 % der Nettoeinnahmen für die Streamer:innen und 30 % für Amazon) fällt die Obergrenze von 100.000 Dollar. Sprich: Große kriegen demnächst mehr. Das ist schön für die, die das betrifft, aber wie weit sind wir davon entfernt, dass kleinere Accounts dann weniger oder auch gar nichts mehr bekommen? Bei Twitch hängt die Vergütung der Streamanbieter dann an den Amazon-Prime-Gaming Einnahmen. Aber wer jetzt denkt, das ist doch alles so weit weg vom Buchmarkt, sollte zweimal überlegen. Die Zeichen stehen auf #SuckUpEconomics.

Vorsicht auf dem Buchmarkt!

Was sich bei Musik und Videos durchsetzt, ist von Amazons Buchgeschäft nicht mehr weit weg. Denen ist das nämlich egal, was genau sie verkaufen und Geschäftsmodelle können beliebig angepasst werden. Wie Cory Doctorow und Rebecca Giblin in Chokepoint Capitalism sehr verständlich die Geschäftsmodelle von Spotify, Amazon und großen Verlagshäusern auseinandernehmen, ist es Amazons „Masche“, Embrace, Extend, Extinguish zu spielen. Also erstmal einen Geschäftszweig annehmen, ausbauen, alle davon abhängig machen (inkl. großen Verlagshäusern) und dann das Segment abriegeln so dass außerhalb des eigenen Geschäftszweigs nichts mehr „wächst“. Das Ganze unter Zuhilfenahme von Vendor-Lock-In, also dass Amazon eBooks auf keinem anderen Gerät geöffnet werden können als den Amazon-eigenen Kindle-Geräten. Willst du von Amazon weg, verlierst du eben deine ganze Bibliothek der letzten 10 Jahre mit 500 Titeln. Tja, schade. Du willst von Audible weg? Kannst du machen, aber leider ohne deine 200 Hörbücher der letzten Jahre, weil die leider nur in der Amazon-Audible-App zu öffnen gehen. Upsi. Abgesehen von unserem Recht auf Privatkopie gibt es durchaus Möglichkeiten, DRM – Digital Rights Management – von Dateien wie eBooks und Audiobooks zu entfernen und ich habe sehr großes Verständnis für jede Person, die das tut, um den Konzernen auszukommen. Das Einzige, was DRM nämlich effektiv verhindert ist, dass Menschen wie meine Mama, Vielleserin mit eReader ohne großes technisches Interesse, aus Amazon aussteigen. Stattdessen sorgt DRM dafür, dass solche Leute bei Amazon und Co einzementiert werden. Und auch die Verlage sind von Amazon abhängig geworden, denn ihre Stammleserschaft hängt bei Amazon fest. Es ist ein sich selbst verstärkendes Problem.

Das 70/30-Beteiligungs-Schema sollte vielen Indie-Autor:innen sehr bekannt vorkommen. Was also, wenn Amazon etwas mehr Spotify-like demnächst Indie-Autor:innen erst nach 100 oder gar 1.000 verkauften Büchern im Quartal auszahlt und alles, was drunter liegt, an die Star-Autor:innen bzw. deren Rechteinhaber (also deren Verlage) geht?

Was Ihr tun könnt

Ich habe ein paar Vorschläge, wie wir der Lage wieder Herr:in werden können.

  1. Wenn Ihr bei einem Verlag seid, sprecht Eure Verlage darauf an, wie die gedenken, damit umzugehen.
  2. Löst Euch von dem Gedanken, immer nach den Algorithmen irgendwelcher Konzerne spielen zu müssen. Müssen wir nämlich nicht. Wir sind Menschen. Wir arbeiten kreativ als Menschen. Wir machen unsere Werke für Menschen, nicht für irgendwessen Algorithmen. Unsere Fans sind Menschen. Wir sollten auch wieder Mensch-zu-Mensch arbeiten.
  3. Bildet Banden. Zusammen sind wir immer stärker als als einzelne Kreative. Sagt Euren Interessenvertretungen (zB VS), dass sie aufhören sollen, nach den Algorithmen der Konzerne zu tanzen, da können wir nie gewinnen.
  4. Hört auf, Spotify zu nutzen. Mindestens aus Solidarität mit den Kolleg:innen, die nicht mehr bezahlt werden oder bei denen lächerliche 3 Euro ankommen. Musik ist etwas Besonderes, genauso wie es unsere Bücher sind. MP3s auf dem Rechner oder sogar die gute alte CD Sammlung tun es auch. Kauft Lieder die Euch gefallen bei Bandcamp. Schaut ob die Künstler:innen, die Ihr mögt, eine eigene Webseite mit einem Shop oder auch Spendenkonten haben. Kauft vllt sogar mal wieder eine CD, bei der wird auch Euer Hörverhalten, was ihr gerade anhört nicht analysiert und Euer Datenkuchen nicht noch größer.
  5. Hört auf, Twitch zu nutzen, insbesondere als Streamanbieter:innen. Macht Eure Lesungen, Diskussionsrunden etc. auf PeerTube (z.B. stream.litera.tools) und bietet ein Spendenkonto (fragt Eure Hausbank oder schaut nach Anbietern wie z.B. via bunq) für Eure Fans an. Wer jetzt Angst hat, dass doch aber die Reichweite flöten geht, siehe Punkt 2.
  6. Lest Chokepoint Capitalism. Wenn wir wissen, wie das Geschäftsmodell wirklich funktioniert, dann verstehen wir auch, was wir alles ändern müssen, um dem auszukommen.
  7. Lest das Nachfolge-Buch zu Chokepoint Capitalism, The Internet Con. Darin macht Cory Doctorow Vorschläge, wie wir – auch und gerade als Kreative – das Internet zurückerobern können. Spoiler: Interoperabilität.

Wir können keinen Algorithmus schlagen. Aber wir können Menschen sein und uns gemeinsam was Besseres einfallen lassen, um auch als Kreative wieder von unserer Arbeit leben zu können.

Letztes Update: 10. April 2024

Ähnliche Beiträge

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert