EU-Accessibility-Act
Es ist 2025 und der EU-Accessibility-Act kommt. Eigentlich ist er schon lange da (auf EU-Ebene seit April 2019), aber jetzt wird’s tatsächlich ernst. In Deutschland werden ab 28. Juni 2025 entsprechende Maßnahmen notwendig, um dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) gerecht zu werden, welches die EU-Gesetzgebung in Deutschland umsetzt; ganz besonders dann, wenn ihr gewerbsmäßig (zB als Berufsautor:in) Inhalte im Netz zur Verfügung stellt. Aber es ist auch dann eine gute Idee sich um Barrierefreiheit zu kümmern wenn ihr gerade erst als Autor:in anfangt, denn es gibt viele Menschen, die gerne unsere Inhalte lesen, hören oder anschauen möchten, aber vielleicht Beeinträchtigungen haben. Das können angeborene Beeinträchtigungen sein, aber das sind tatsächlich die wenigsten. Von den 7,8 Millionen Menschen mit schweren Behinderungen in Deutschland haben nur drei Prozent angeborene Behinderungen. Die übrigen 97 Prozent kommen irgendwann im Laufe des Lebens dazu – durch Unfall, Krankheit, Alter … Es kann uns also alle jederzeit „erwischen“.
Der EU-Accessibility-Act betrifft jetzt bei uns Kreativen vor allem unsere digitalen Produkte wie eBooks, Podcasts, Webseiten, Blogs, Video-Content etc. Ein paar Dinge gibt es zu beachten, aber es ist auch kein Beinbruch, also keine Panik.
-> Link zum EU Accassibility Act vom 17. April 2019
-> Link zur IHK Infoseite zur jetzt notwendigen Barrierefreiheit bei Unternehmen
Was ist überhaupt Barrierefreiheit?
Barrierefreiheit bedeutet, dass Menschen mit Beeinträchtigungen Angebote ohne fremde Hilfe verwenden können. Eine barrierefrei gestaltete Webseite zum Beispiel ist auch keine separate Version der Seite, sondern die Webseite selbst sollte eine gute Usability haben; zB guten Kontrast, der für alle Nutzenden die Lesbarkeit verbessert.
Im Falle des EU-Accessibility-Acts bedeutet es, dass unsere digitalen Angebote so gestaltet sein müssen, dass auch Menschen, die nicht oder nicht gut sehen oder hören können oder andere Beeinträchtigungen haben, unsere Angebote trotzdem gut nutzen können sollen. Das müssen nicht immer dauerhafte Beeinträchtigungen oder Schwerstbehinderungen sein, sondern betrifft auch Menschen, die situationsbedingt grad kein Video schauen oder sich lang konzentrieren können.
Was Barrierefreiheit angeht ist Österreich weit vorne, denn dort müssen beispielsweise Onlineshops schon seit 2016 für Menschen mit Behinderung zugänglich sein, ohne dass sie dafür fremde Hilfe brauchen.
Ihr fangt wahrscheinlich nicht bei Null an
Wenn ihr die letzten Jahre schon sogenanntes „SEO“, also „Search-Engine-Optimization“ umgesetzt habt, seid ihr gut auf dem Weg, denn Google listet schon seit Jahren Seiten besser, wenn die Webseiten und Angebote barrierefrei gestaltet sind. (Dass es keine echte Suchmaschinenoptimierung gibt, sondern nur eine Google-Optimierung, lassen wir an dieser Stelle mal beiseite. Es gibt ja noch zig andere Suchmaschinen neben Google, die bei den von Agenturen proklamierten Maßnahmen quasi immer außen vor gelassen werden. Aber wenn ihr „SEO“ betrieben habt, seid ihr auf einem guten Weg zur Barrierefreiheit. Immerhin etwas.)
So einfach ist es, Barrierefreiheit umzusetzen
Denkt einfach daran, wie es euch ginge, wenn ihr einen oder mehrere Sinne gerade nicht zur Verfügung habt – Ohrenentzündung, in lauter Umgebung unterwegs, gebrochene Hand, Halsentzündung/Stimme weg, Augen verätzt …
Wenn eure Angebote nur über einen einzigen Kanal bzw. mit einem einzigen Sinn nutzbar sind, dann gibt es etwas zu tun. – Das gilt auch, wenn ihr Programmierer:innen seid und Angebote schafft, die zwingend sowas wie Stimmeingabe etc. verlangen, die aber für mehr als eine schmale Nische an Menschen zur Verfügung stehen sollen.
Gestaltet auf gute Usability hin
Wenn ihr ein Theme für euren Blog oder eure Webseite aussucht, schaut drauf, dass die Kontraste gut sind und die Seite in allen Lebenslagen gut lesbar ist – auch auf Tablets und Smartphones und 11- oder 13-Zoll-Displays. Ihr glaubt gar nicht, wie oft ich mit meinem normalen 13-Zoll-Arbeitsgerät bei Webservices anstehe, weil die auf über 20 Zoll großen Bildschirmen designt wurden und niemand getestet hat, ob die auch auf kleineren Displays funktionieren oder auch nur irgendwie übersichtlich sind.
Sucht ein Theme aus, bei dem die Klickflächen groß genug sind, dass man sie mit dem Mauszeiger aber auch per Touch-Eingabe gut und sicher treffen kann. Viele moderne Themes bieten das ohnehin bereits. Falls ihr noch ein altes Theme verwendet und seit mehr als fünf Jahren darüber nachdenkt, die Seite endlich mal zu modernisieren: Jetzt ist eine gute Gelegenheit.
Gestaltet Texte übersichtlich
Gliedert zB die Infoseiten eurer Webseite übersichtlich. Lasst auch mal weiße Flächen.
Macht Absätze immer wenn ein neuer Sinnabschnitt kommt. Jeden einzelnen Satz in einen eigenen Absatz zu packen ist auch wieder zuviel des Guten – das hatte ich neulich mal auf einer Seite und ich fand es sehr verstörend, weil mein Kopf nach jedem Satz ein neues Thema erwartet hat, das dann nicht kam. Das war einfach mieses Design. Umgekehrt ist eine 20-seitige „Wall-of-Text“ gerade im Digitalen für alle Lesenden ein harter Brocken.
Nutzt gegliederte Listen mit Punkten oder Zahlen zu Beginn. Das ist
- übersichtlich
- leicht zu lesen und
- einfach umsetzbar.
Hinterlegt Alt-Texte und Bildbeschreibungen für Bilder und Grafiken
Dazu sollte euer System (Website-CMS, Buchsatz-Programm etc.) euch bereits komfortable Möglichkeiten zur Verfügung stellen. Für den Buchsatz für eBooks verwende ich Vellum und werde dort immer aufgefordert, Bildbeschreibungen für alle Grafiken vom Cover über Schaubilder bis zum Autor:innen-Foto einzugeben. Ebenso habe ich bei WordPress für Webseite, Blog und Podcasts überall die Möglichkeit, entsprechende Zusatzinformationen zu hinterlegen, sowohl in der Mediathek als auch direkt beim Erstellen der Beiträge und Seiten.
Zwischen Bildbeschreibung und Alt-Text ist ein Unterschied. Der „Alt-Text“ ist der alternative Text der zB auch dann angezeigt wird, wenn das Bild nicht geladen werden kann. Die Bildbeschreibung wird u.a. von sogenannten Screen-Readern aufgerufen, mit denen blinde Personen das Internet verwenden. Darin beschreibt man das Bild, die Infografik etc. und dieser Text wird den Personen von ihren Screenreadern vorgelesen. So bekommen auch Blinde die Informationen, die ihnen sonst in einem Bild verborgen bleiben würden.
Texte in Bildern
Ja, merkt ihr vermutlich grad schon selber, aber: Wenn Text in einem Bild steht, ist er für Menschen, die das Bild nicht sehen, nicht vorhanden. Da könnt ihr super schnell etwas verbessern, wenn ihr den Text auch außerhalb des Bildes verfügbar macht – mindestens in der Bildbeschreibung, aber vielleicht auch einfach daneben/darunter als Text posten.
Blendet Untertexte in Videos, Audiobeiträge und Podcasts ein
Ich bin keine Video-Expertin, aber viele der üblichen Veröffentlichungsplattformen bieten schon Hilfestellung für Untertitel an. Schaut einfach, was ihr dort findet, wo ihr eure Videos veröffentlicht.
Für Podcasts gibt es ebenfalls bereits Untertitel, zB für die Web-Player. Wenn man die Postproduction von Auphonic verwendet, bekommt man auch automatische Transkripte mit Zeitstempeln, die automatisiert in die Podcastplayer eingebunden werden können. Damit muss ich mich auch noch auseinandersetzen; die Dateien fallen bei mir auch schon seit mehr als einem Jahr aus dem System, aber ich muss sie noch korrekt einbinden.
Achtet auf Verständlichkeit im Audio
Wenn ihr Podcasts oder Hörspiele produziert, redet deutlich und nicht unbedingt im Kaffeehaus neben einer röhrenden Kaffeemaschine – nicht lachen, den Fehler hab ich auch oft genug gemacht.
Denkt dran, dass es Menschen gibt, die nicht auf beiden Ohren gleich gut hören. Wenn ihr aus welchen Gründen auch immer nicht grundsätzlich Mono-Audio anbieten möchtet (Mono heißt, dass auf beiden Seiten derselbe Klang ankommt, im Gegensatz zu Stereo, wo auf beiden Seiten unterschiedlicher Klang ausgespielt wird), dann macht zumindest keine 100-Prozent abwechselnden Dialoge, bei denen einer immer nur im linken Kanal spricht, die andere Person immer nur im rechten (mich persönlich macht das kirre und ich schalte meistens ab), sondern legt so ein Zwiegespräch mit lauter und leiser an, dass aber alle Informationen auf beiden Ohren ankommen, nur einige durch Lautstärke hervorgehoben werden.
Anmerkung: Betroffene schalten Podcasts in ihren Podcatchern oder Hörbücher im Player meist auf „Zwangs-Mono“, um solchen Spielereien zu entgehen. Ich zum Beispiel auch. Nicht weil ich schlecht höre, sondern weil das zuviel meiner Hirnkapazitäten braucht, mich abwechselnd auf die beiden Seiten zu konzentrieren. Vielleicht bin ich was das angeht aber auch einfach komisch.
Bietet Transkripte an
Transkripte sind in mehrerer Hinsicht super, so werden auch unsere Audio- und Videoinhalte einfach durchsuchbar! Transkripte waren früher echt mühsam, aber heute sind sie schon fast ein Abfallprodukt digitaler Postproduction. Viele Plattformen bieten schon „KI-Tools“, also Algorithmen an, die automatisch Transkripte machen. Macht euch die Mühe, die automatisch erstellten Transkripte aber auch nochmal zu kontrollieren! Unbesehen drauf verlassen kann man sich auf „KI-Lösungen“ nicht.
DSGVO-Hinweis zu „KI-Tools“
Achtung bei sogenannten „KI-Tools“ die Transkripte, Untertitel etc. für euch erstellen: Wenn ihr die Videos/Audiodateien erst dann da durchlaufen lasst, wenn die Videos/Podcastfolgen/… schon veröffentlicht sind, arbeitet das Tool mit bereits veröffentlichten Daten. Dann habt Ihr es datenschutzmäßig einfacher.
Allerdings solltet ihr mögliche Gesprächspartner:innen darüber aufklären, dass diese Verarbeitung mit ihren biometrischen Daten (Stimme, Gesichtsbild etc. sind sensible Daten) geplant ist und ihre Einwilligung dazu einholen. Das ist auch nicht schwierig, es muss nur nachweisbar sein, dass ihr das gemacht habt – das kann eine eMail sein, eine mündliche Einwilligung zu Beginn der Aufnahme, die ihr dann archiviert, etc. Macht euch einfach einen Ordner dafür.
Wenn Gesprächspartner:innen ihre Einwilligung widerrufen, gilt das natürlich immer ab dem Zeitpunkt des Widerrufs. Also fragt sie a) bevor ihr irgendeine KI mit ihren biometrischen Daten füttert und b) keine Panik, wenn Menschen ein halbes Jahr später widerrufen, das gilt erst ab dem Zeitpunkt des Widerrufs. Dann müsst ihr zwar vielleicht die Folge depublizieren, aber nicht die Anbieter aller Dienstleistungen bis dahin anschreiben und Informationen aus deren Systemen tilgen lassen oder sonst irgendwelche Horrorgeschichten, die man manchmal im Netz liest.
Testet eure Angebote
Mittlerweile ist es sehr einfach, die eigenen Angebote zu testen. Lasst euch zB eure Webseite oder euren Blog mal von einem Screenreader vorlesen. Eine einfache Möglichkeit ist es, das über die Bedienungshilfen/Accessibility-Features im Browser oder in eurem Betriebssystem zu tun. Wenn ihr entsprechende Programme nutzt, freue ich mich auch über einen Kommentar, welche gut sind, gerade auch um sich in die Thematik weiter reinzufuchsen.
Accessiblity lohnt sich
Es ist nicht schwer, Barrierefreiheit mitzudenken und umzusetzen. Ihr braucht auch keinen teuren Kurs dafür oder irgendwelches Agentur-Gewäsch. Schlau mitdenken und einmal in die verschiedenen Situationen reindenken reicht völlig hin.
Barrierefrei gestaltete Webseiten, Blogs, Podcasts, eBooks etc. kommen uns allen zugute. Über die letzten Jahre habe ich immer wieder Nachrichten bekommen von Menschen, die sich dafür bedanken, dass sie zB meine Bücher auch als Großdruchversion lesen können, weil sie Papier viel lieber haben als eReader. Es betrifft vielleicht eine Minderheit unserer jeweiligen Zielgruppe, aber die Menschen sind in der Regel sehr dankbar, freuen sich, schreiben eine freundliche Mail oder lassen auch gerne mal eine gute Bewertung da.