Oh, vielgerühmtes Österreich…

… wo sind Deine Literaturwissenschaftler, wenn Du sie brauchst in der Stunde höchster Not (oder auch: in diesem Sommerloch)?

Wie derstandard.at gestern berichtete, soll die österreichische Nationalhymne geändert werden, namentlich eine Zeile der ersten Strophe, die da bisher heißt „Heimat bist Du großer Söhne“.

1.
Land der Berge, Land am Strome,
Land der Äcker, Land der Dome,
Land der Hämmer, zukunftsreich!
Heimat bist du großer Söhne,
Volk, begnadet für das Schöne,
|: vielgerühmtes Österreich, 😐

2.
Heiß umfehdet, wild umstritten,
liegst dem Erdteil du inmitten,
einem starken Herzen gleich.
Hast seit frühen Ahnentagen
hoher Sendung Last getragen,
|: vielgeprüftes Österreich, 😐

3.
Mutig in die neuen Zeiten,
frei und gläubig sieh uns schreiten,
arbeitsfroh und hoffnungsreich.
Einig lass in Brüderchören,
Vaterland, dir Treue schwören,
|: vielgeliebtes Österreich, 😐

Die literarisch wertvolle und, wie man als humanistisch gebildeter Mensch meinen möchte, allgemeinverständliche Aussage, dass Österreichs Sprösslige herausragende Menschen seien. Die Änderung soll nun folgende Zeile daraus machen: „Heimat bist Du großer Töchter, Söhne“. Diese Änderung wirft nun aber eine Reihe an Fragen auf; sowohl konkreter literarischer als auch zukunftsweisender Fragen, letztere betreffend zum Einen das Bildungssystem und zum anderen die politische Vorgangsweise bei Nichteinhalten der hymnischen Axiome.

1. Offenbar wird von der traditionellen literarischen Lesart abgesehen zugunsten einer dezidiert wörtlichen Leseweise. Dies ist das primäre literaturwssenschaftliche Problem der anstehenden Änderung, denn dieser Wandel der Lesart eröffnet die ganz banale Frage, ab wann Menschen als „groß“ gelten? Reichen 1,70m schon aus? Und was ist mit allen, die kleiner sind, vor allem die kleinwüchsigen Menschen? Sind diese nicht in Österreich heimisch?

2. Wenn man bedenkt, dass viele von uns in Kindertagen zumindest für eine Weile dachten (und sogar manche Erwachsene noch immer denken), dass Gottes Sohn „Owi“ heißt (dank des Weihnachtsliedes „Stille Nacht“ und der darin vorkommenden Zeile „Gottes Sohn, oh, wie lacht“), kann man davon ausgehen, dass Österreich zukünftig im Volksgedanken Heimat großer ‚Töchtersöhne‘ sein wird. Diese sind dann allerdings nicht nur wieder naturgemäß ausschließlich männlich, sondern zudem auch noch welche, die dezidiert eine Mutter haben. Was aber ist mit Waisenkindern? Und – beim Fortschritt medizinischer Technik nicht zu vergessen – mit Kindern aus In Vitro Fertilisation und Klonen? Wird die Hymne in 20 Jahren wieder geändert? Und wenn ja auf was? Auf „Heimat großer Berechtigter für Menschenrechte“? Nach den Menschenrechtsdebatten der letzten Jahre müssten an dieser Stelle am Ende noch Primaten dazugezählt werden, wohingegen Menschen im Koma an dieser Stelle ausgeklammert werden könnten, was die Sache aber wohl unnötig verkompliziert. Dafür sind allerdings tatsächlich die (evtl. adoptierten) männlichen Kinder homosexueller männlicher Paare betroffen und offenbar keine in Österreich heimische „Spezies“. Mädchen stehen dann wieder gar nicht zur Debatte, egal in welchem körperlichen oder geistigen Zustand.

3. (Achtung, satirische Frage:) Wenn wir schon dabei sind, verschiedenste Gesinnungen und körperliche Verfassungen mit einzubeziehen, fehlt dann nicht noch irgendwo ein „Innen“ mit einem Unterstrich abgesetzt, der Platz macht für wirklich alle Unentschlossenen und Menschen, die sich aus verschiedensten psychologischen und physioloischen Gründen keiner Geschlechtlichkeit zugehörig fühlen? Da kann es auch gleich noch „Töchter_Innen, Söhn_Innen“ heißen, das ist dann jetzt auch schon wurscht.

4. Wird die humanistische und literarische Bildung der österreichischen Sprösslinge in Zukunft völlig eingestellt werden, dass es notwendig sein wird, alles wörtlich auszudrücken weil Sprachbilder aller Art nicht mehr verstanden werden können? Werden in dem Zuge dann die „Klassiker“ allesamt neu überarbeitet und metapherbefreit herausgegeben oder wird das Lesen klassischer Literatur ebenfalls einfach eingestellt werden, wenn den Bürgern des Landes schon nicht zugetraut wird, ihre eigene Hymne zu verstehen und sich damit zu identifizieren?

5. Wird etwa hier nur das „Bild“ geändert um den Kindern auch in Zukunft nicht beiberingen zu müssen, dass Buben und Mädchen gleich viel wert sind und beide jeweils später alles werden dürfen, was sie wollen und was ihnen liegt? Lieber ein paar wörtliche Töchter extra aufführen als den realen Töchtern klarzumachen, dass sie (ebenfalls) zu herausragenden Sprösslingen gereichen?

6. Wird die Regierung vielleicht – einem kleingewachsenen Österreicher folgend – eventuell gar alle Kleinwüchsigen, Waisenkinder, Transsexuellen und alle, die sonst ebenfalls nicht ins neue hymnische Bild passen deportieren lassen?

7. Dass die „Brüderchöre“ der letzten Strophe nicht geändert werden, heißt offenbar, dass die Frauen noch immer nicht mitsingen dürfen oder zumindest dem „Vater“land nicht die Treue schwören müssen, auch wenn zumindest die Töchter jetzt schon in der Hymne „kommen dürfen“ – an dieser Stelle eine nachträgliche Frage an derstandard.at: Ist die Überschrift „Töchter kommen in Hymne“ nicht irgendwie pornographisch auslegbar und warum dürfen die Söhne dabei keinen Spaß haben? Für Transsexuelle und Hymnenfetischisten ist Platz aber Geschwisterliebe noch immer verboten? Für einen Artikel vor der Hymne wäre doch wirklich noch Platz gewesen.

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