Social-Media Grundsätze: Wie funktionieren Social-Media-Algorithmen?
„Dem Algorithmus ein Schnippchen schlagen“ hab ich neulich erst wieder gehört. Aber: Geht das überhaupt?
Was tun Social-Media-Algorithmen?
Platt gesagt werten die Social-Media-Algorithmen die Inhalte der Posts sowie das Verhalten der Menschen auf den verschiedenen Netzwerken aus und ändern daraufhin, was in der Timeline und rundrum auf der Webseite des Netzwerks oder in der App angezeigt wird.
Seit wann gibt es sowas?
Social-Media-Algorithmen nicht neu. Google fing schon Ende der 1990er Jahre mit der Auswertung von Nutzungsverhalten an. Das Prinzip war schon in der Welt, als die ersten Social-Media-Netzwerke starteten. Das heißt aber auch, dass über 25 Jahre Entwicklungszeit da drin stecken – das ist länger, als viele Nutzer:innen überhaupt auf der Welt sind. Und es hat nicht nur eine kleine Gruppe an Leuten daran gearbeitet, sondern tausende, vielleicht zehntausende Menschen, die alle dazu beigetragen haben, Social-Media-Algorithmen weiter auszubauen.
Was werten Social-Media-Algorithmen aus?
Wichtig zu verstehen ist, dass diese Algorithmen ALLES registrieren, was wir innerhalb einer App oder auf einer Webseite tun. Wirklich ALLES. Natürlich alle Inhalte, die wir posten, aber darüber hinaus auch jeden Maus-Schubser, jedes Scrollen oder Wischen, jedes Verweilen wird auf hundertstel Sekunden genau erfasst. Viel genauer, als unser menschliches Gehirn jemals etwas registrieren könnte und auch viel genauer, als uns unsere eigenen Handlungen bewusst sind.
Auf den kommerziellen Netzwerken wie FB, Instagram, Twitter/X, Pinterest, TikTok etc. aber genauso bei Netflix, Spotify und Co. sind Trackingmechanismen eingebaut. Übrigens auch in den großen Onlineshops. Und können auch „filmen“, wie unsere Mausbewegungen sind, was dann sowohl zum Tracking als auch vom Kundensupport verwendet wird, damit die Agents in den Callcentern dann fragen können, ob man auch wirklich sicher ist, auf den Button geklickt zu haben, während sie genau sehen, wo unser Mauszeiger gerade ist.
Dazu kommen alle Infos, die unsere Geräte auf Anfrage der Trackingsoftware sonst noch hergeben: Betriebssystem, welcher Browser oder welche App inkl. Versionsnummer, Spracheinstellungen, Grafikkartenkennung, Bildschirmauflösung, bei Mobilgeräten auch die Ausrichtung ob hoch oder quer, euer Standort, ob sich das Gerät bewegt, wenn ja mit welcher Geschwindigkeit auf welcher Route und daraus errechnet ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, im Bus, im Zug …
Und natürlich immer die IP-Adresse, von der aus wir auf das Netzwerk zugreifen und Gerätidentifikatoren.
Wenn wir einen Account bei dem Netzwerk haben, werden all diese Informationen mit unserem Account verknüpft. Und ja, sobald wir ein neues Gerät verwenden oder uns vom Büro aus einloggen, werden auch diese Gerätedaten unserem Profil hinzugefügt. Und die Verknüpfung angelegt, falls mit diesem Gerät schon andere Personen registriert sind.
Falls wir keinen Account haben, wandern die Daten in einen sogenannten „Schattenaccount“, wo ebenfalls alle Informationen zu zB dieser MAC-Adresse zusammengetragen werden.
Im Hintergrund dieser Algorithmen gibt es eine täglich um mehrere Terabyte (eher mehr) wachsende Menge an Handlungsinformationen – von uns und allen anderen, die diese Netzwerke nutzen. Das sind einerseits weitere Trainingsdaten für die Algorithmen, die stetig weiterentwickelt werden, aber darauf beruhen auch die „Entscheidungen“ der Algorithmen, was uns angezeigt wird und was alles nicht.
Was wird uns angezeigt?
Auch hier eine ganz wichtige Sache zuerst: Wir sind NICHT die Kunden der Social-Media-Plattformen. Wir zahlen nicht für den Service. Die Kunden sind die, die Geld an die Plattformen überweisen. Dafür, dass die Plattformen aufgrund ihrer Auswertungen Werbung an bestimmte Gruppen von Menschen anzeigen.
Wir sind nur die Nutzenden, oder anders ausgedrückt, das Klick-Vieh, das den Plattformen die Rechtfertigung gibt, das Geld einzukassieren. Weil ob jede Werbung, für die kassiert wurde, auch angezeigt wird, ist höchst fraglich bis wahrscheinlich nicht wahr. Dazu aber mehr im Blogpost zu bezahlter Social-Media-Werbung.
Was wird uns also angezeigt? Zweierlei. Erstens, Dinge von denen die Algorithmen errechnet haben, dass sie uns möglichst lange auf der Plattform halten. Negative Posts und Aufreger sind da ganz weit vorne, weil sie emotionalisieren und uns vergessen lassen, dass wir ja noch was anderes vorhatten. Wir lassen uns in Diskussionen verwickeln, teilen, diskutieren und interagieren teilweise sogar mit Bot-Accounts, um unseren Standpunkt klarzumachen. Das dauert. Und das ist gut, denn dann kann uns derweil zweitens, Werbung angezeigt werden. Und zwar im Augenwinkel und für so viele Millisekunden, bis wir neugierig werden, und uns die Werbung mal ansehen wollen.
Vieles auf Social-Media-Plattformen passiert im für uns nicht wahrnehmbaren Bereich oder knapp danach, so dass unser Gehirn Neugierde entwickelt. Ich schreibe das deswegen so, weil wirklich 25 Jahre und viele Milliarden Dollar der großen Plattformen in die Forschung geflossen sind, wie wir denken, wie unser Gehirn funktioniert, wo sie einsetzen müssen, um unsere Reflexe und Mechanismen auszulösen, die seit Höhle und Keule darin hart verdrahtet sind. Und so gerne wir uns als denkende, selbstbestimmte Individuen wahrnehmen, müssen wir die Kränkung hinnehmen, dass wir doch viel vorhersagbarer reagieren, als uns lieb ist. Und vorhersagen können die Algorithmen gut, denn sie haben 25 Jahre Verhaltensdaten von uns. Sie haben soviel mehr Daten und soviel mehr Rechenleistung, dass sie unserem menschlichen Gehirn jetzt bereits überlegen sind. Und wir sind noch lange nicht bei einer „Starken KI“ angelangt, sondern nur bei Algorithmen, die mit enoermer Rechenleistung Statistik berechnen.
Und deswegen können wir „den Algorithmus“ – oder besser das Konglomerat vieler verschiedener, sich ständig verändernder Algorithmen – auch nicht schlagen. Selbst wenn wir sinnlose Suchanfragen absetzen, und Sachen anschauen, die uns nicht interessieren oder was auch immer das Mittel der Wahl ist, um „den Algorithmus zu verwirren“, die kennen unsere tatsächlichen Verhaltensmuster und unser neues Verhalten ist von anderen längst bekannt. So kommt höchstens unser Profil das nächste Mal in die Schublade „Leute, die sich einreden lassen, einen Algorithmus verwirren zu können“ und wir bekommen dazu passende Werbung angezeigt.
Der Algorithmus pusht doch unsere Posts!
Es wird uns immer weisgemacht, dass wenn wir „den Algorithmus nur richtig bedienen“, hilft uns das, mehr Menschen zu erreichen. Schöne Vorstellung, aber meistens: nein. Das ist wie der Vierer im Lotto. Tatsächlich funktionieren die Algorithmen nämlich eigentlich umgekehrt. Sie sind nicht dafür da, einzelne Inhalte zu pushen, sondern aus der Vielzahl von Posts auszusortieren. Das heißt, mit all unserem Bemühen arbeiten wir GEGEN die Algorithmen.
Es führt dazu, dass wir nach deren Spielregeln spielen, uns ewig damit aufhalten, optisch besonders herausstechende Bildchen zu erstellen, um damit unsere nächste Lesung oder Ausstellung ankündigen zu können. Wo wir vielleicht eine halbe Stunde und mehr verbringen, um auch ja die richtigen Hashtags zu verwenden. Gibt es einen Hashtag der trendet, wo wir den Hashtag kapern und auf den Trend noch aufspringen können? … Natürlich kann man seine Tage auch damit verbringen. Oder in der Zeit neue Bücher schreiben. (Ja, da dürft Ihr mich gerne zitieren.)
Das ist nämlich der Teil, wo viele Autorenkolleg:innen in Panik geraten und „Was? Noch ein Kanal um den ich mich kümmern muss?“ fragen. Das, was in Arbeit ausartet.
Vielleicht machen wir uns die Mühe – eventuell noch mit Absprache über Mailingliste oder Messengergruppen, dass auch wirklich die Kolleg:innen den Post a) sehen und b) teilen – und dann registrieren die Algorithmen, dass der Post wohl für 58 Leute (oder wie viele auch immer dann klicken) interessant ist. Wird der Post gepusht? Vielleicht. Außer irgendein anderes Thema wird gerade heißer diskutiert. Aber auch falls die Algorithmen den Post pushen – wenn es gut gemachte Algorithmen sind, haben sie registriert, dass gerade zB viele Autorinnen den Post pushen, also ist der Inhalt interessant für Autorinnen! Dann wird er auch vornehmlich ein paar weiteren Autorinnen angezeigt.
Was wir nicht sehen
Was uns übrigens nicht angezeigt wird, sind Posts der Leute, denen wir folgen, wenn die Algorithmen berechnet hat, dass etwas anderes uns jetzt gerade in unserer aktuellen Stimmung und anhand dessen, was wir vorher geklickt haben, mehr „interessieren“ würde – lies: zu mehr Interaktion und zu längerem Aufenthalt im System veranlassen wird. Sprich: Aufreger und Hundewelpen gehen immer vor Posts unserer Freund:innen. Dazu mehr im Blogpost zum Mythos Reichweite (coming soon).
Was tun?
Verwendet Werbeblocker, um die Menge an Werbealgorithmen zu verkleinern, die bis zu Euch durchdringen. uBlock origin im Firefox Brower für Euren Laptop oder Desktoprechner. Und auf dem Telefon und Tablet Firefox klar (auf engl. heißt er Firefox Focus). Auf Android-Geräten könnt Ihr auch im Firefox Browser Add-ons wie uBlock origin installieren. Tut das gerne. Außerdem gibt es ein sehr nützliches Firefox-Add-on namens Multiaccount-Containers. Damit bleiben die einzelnen Social-Media-Accounts jeweils „für sich“ und können nicht auch noch auf andere Cookies und Tabs zugreifen.
Überlegt Euch, ob das Umfeld überhaupt gut für Euch und auch Eure Kund:innen ist. Gibt es andere Möglichkeiten, die vielleicht ohne millisekündliche Auswertung des Verhaltens und der Inhalte und Antworten auskommen? Gerade wenn Ihr im Bereich Coaching oder Finanzberatung oder Paarberatung seid, wollt Ihr vielleicht einen etwas privateren Raum aufsuchen. Signal, Threema, ein eigenes Forum … Es gibt viele Möglichkeiten.
Verlasst Euch nicht auf Eure Facebookseite oder Euren Instagram-Kanal als zentralen Baustein Eures kreativen Business! Falls Ihr noch keine Webseite oder keinen Blog habt (WordPress auf einem eigenen Webspace) oder die in den letzten Jahren vernachlässigt habt, baut Euch eine Zentrale, einen Hub auf. Lockt Eure Fans und Community auf Eure eigene Infrastruktur.
Weitere Infos und Empfehlungen
Das Center for Humane Technology hat eine großartige Doku produziert, die absurderweise auf Netflix läuft: The Social Dilemma, die deutsche Übersetzung heißt Das Dilemma mit den sozialen Medien. Und „absurderweise“ deshalb, weil Netflix mit derselben Art von Algorithmen arbeitet, wie algorithmisch gesteuerte Social-Media-Plattformen auch. Dass der Film dort zu sehen ist, liegt an der Finanzierung.
Cory Doctorow hat 2023 zwei großartige Bücher zu dem Thema rausgebracht: Chokepoint Capitalism, wo er über die Funktionsweisen und dahinterliegenden Geschäftsmodelle schreibt. Und The Internet Con, in dem er noch weitere Beispiele bringt und auch schreibt, was wir dagegen tun können.
Ich habe auch zwei Podcastfolgen dazu, eine Tonaufzeichnung seines Vortrags beim Grazer Elevate-Festival sowie ein Interview, das ich mit ihm zu Chokepoint Capitalism geführt habe.
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